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Auf der Suche nach dem Glück: Jake

Westport, Westküste der Südinsel Neuseelands, es ist vier Uhr nachmittags, es regnet hart. Ich habe mich in ein Hostel geflüchtet, die Wetterprognose verheisst für zwei Tage nichts Gutes. Ich verstaue mein klatschnasses Zeug im Vier-Bett-Zimmer. Mit mir, so stellt sich später heraus, wird hier noch ein älteres Kiwi-Pärchen liegen. Und Jake. An ihm kommt man nicht leicht vorbei. Jeder kennt solche Typen: Nicht unsympatisch, aber immer ein Spürchen zu redselig, Fragen beantwortend, die du nicht gestellt hast. Jake dürfte Mitte 60 sein, ist schlank und schlacksig, Hände und Arme unterstützen seine Erzählungen, sie wirken wie die eines Betrunkenen, dabei ist Jake vollkommen nüchtern. Erst später wird er trinken. Jake hat auffällig grosse, runde Augen. Ich platze mitten in eine seiner Geschichten. Vietnam, frühe Siebzigerjahre, es ist Krieg. Jake ist junger Soldat und wird während eines Einsatzes so schwer verletzt, dass ihn nur eine dünne Linie vom Tod trennt. Mehr tot als lebendig sei er damals gewesen. Ein Hubschrauber fliegt ein, ist aber schon mit den leblosen Körpern getöteter Soldaten vollgestapelt, die hinter die Front und dann in die Heimat gebracht werden sollen. Ein beherzt zupackender Kamerad schafft Platz. Leichen gehen über Bord, Jake wird in den Hubschrauber gelegt.

Nach Monaten in Lazaretten und Militärkrankenhäusern ist Jake über den Berg. Für ihn ist es eine Frage der Ehre – wohl auch eine des viel besseren Lohns –, dass er, nun als Vorgesetzter, nach Vietnam zurückfliegt. „Etwas mehr als neunhundert Dollars sind besser als die dreihundert, die man mir im ersten Einsatz bezahlte“, rechnet er vor. Das hat was. Werden seiner Einheit neue Leute geschickt, mahnt er, sie sollten nichts tun, womit sie später, zurück in den Staaten, nicht leben könnten. Dass einem im Krieg Dinge passieren, mit denen man, zurück in den Staaten, nicht leben kann, darüber spricht Jake nicht. Er scheint von der Wichtigkeit und Richtigkeit seines Dienstes noch heute überzeugt. Obwohl: Amerika müsse, so meint er, endlich alle Boys in die Heimat zurückholen. Militärisch unterstützte Staaten müssten endlich erwachsen werden. Und Trump so ist er sich sicher, wäre ein hervorragender neuer Präsident für die USA.

Dann Afrika. Afrika, so fährt er fort, sei nur wegen seines Aberglaubens so unterentwickelt. Afrika würde ohne ihn blühen. Die ältere Kiwi-Dame interveniert mutig. Das Problem sei, so denke sie, doch vielschichtiger. Nein, nein, kontert Jake, Aberglaube sei die Wurzel alles Übels auf dem schwarzen Kontinent. Die Kiwi-Dame steckt den Fehdehandschuh wieder ein. Hier ist kein Punkt zu machen. Jake braucht einen Schluck Tee. Wir sind jetzt zu dritt im Zimmer. Ich beginne das Gespräch mit den Kiwis. Sie hätten, so erzählen sie, schon eine Nacht mit Jake im Zimmer verbracht. Er habe unruhig geschlafen, im Schlaf gesprochen, einmal laut nach Hilfe gerufen. Nachts laufe er wieder durch vietnamesischen Dschungel, werde wieder schwer verwundet, ringe wieder um sein Leben. Die Krallen der Erinnerung sitzen noch immer tief in Jakes Seele.

Jake ist zurück. Sein Tee riecht nach Schnaps. Er müsste, so fährt er fort, eigentlich nach Hause zurück. Da warte aber allein seine Einzimmerwohnung auf ihn. Einsamkeit, Langeweile, vier stumme, weisse Wände. Zudem wisse er noch nicht, woher das Geld für den Rückflug kommen soll. Jake steckt hier fest, im Endlosloop. Es heisst, Traumatisierte erzählten ihre Geschichte wieder und wieder. Das treibt auch sehr verständnisvolle Angehörige irgendwann auf die höchste Palme.

In der Nacht dann schläft Jake zwar unruhig, ruft aber nicht nach Hilfe. Am Morgen krame ich mein Zeugs zusammen und schleppe es an der Lounge vorbei zu meinem Rad. In der Lounge sitzt Jake, im Gespräch mit einem jungen Reisenden. Ich bekomme Fetzen des Gesprächs mit: „Neunhundert Bugs … besser als dreihundert …“ Eigentlich ideal hier für Jake, wird mir klar. Er setzt sich morgens in die Lounge und wartet auf neues, interessiertes Publikum. Der Strom von Reisenden wird einen Sommer lang nicht abreissen. Jake kann erzählen. Wieder und wieder. Und Trump wird Präsident. So viel ist möglicherweise sicher.

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One Comment

  1. Weber Edith

    Weber Edith

    lieber André
    ja – Trump for president…früher gab es den Slogan… Kinder an die Macht… Etwa so…oder???

    Freue mich, wieder von Dir gehört zu haben. Dachte schon, wo Dich Dein Weg hingeführt haben mag…?
    Wünschen Dir frohe Ostern und weiterhin viel Freude und alles Gute!
    Edith und families

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