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Bei Monique im Chez Monique

Das Chez Monique gehört zum West Coast Trail wie die Creeks, der Himmel, das Meer. Monique, Peter und Dan betreiben es seit 25 Jahren. So erfolgreich, dass sie gelegentlich um ein Autogramm gebeten werden.

Peter sagt, seinem Vater, Grossvater und den Vorfahren vor ihm habe ein guter Teil des Küstenstreifens entlang des West Coast Trails gehört. Der 76-Jährige ist „Native“ oder „First Nation“, Ureinwohner Kanadas. Ihm blieb ein kleines Stück des einst grossen Landstrichs. Carmanah Beach gehört dazu, ein paar Fischrechte, Steuerprivilegien. Peter ist ein stiller Denker, dessen kluger Humor hie und da aufleuchtet wie ein kurzes, intensives Feuerwerk. So antwortet er auf die Frage eines engen Freundes, ob er sich die Haare habe schneiden lassen, knapp und mit einem Lächeln: „Work in progress“ – das Ganze sei noch in Arbeit. Man sagt, wenn er in Stimmung sei, könne er eine Stunde ohne Punkt und Komma reden. Er tut das nicht, während ich am Strand arbeite. Zwei oder drei mal pro Woche steuert er sein Aluboot nach Port Renfrew. Er versorgt Chez Monique, das rustikale Restaurant am Carmanah Beach, das seine Frau betreibt, mit allem, was die Burgerküche benötigt. Peter hat im Kampf um sein Land die Segel zwar noch nicht gestrichen; er berichtet, ein Anwalt, der den Trail wanderte, hätte ihm attestiert, sein Fall sei interessant. Er macht aber nicht den Eindruck, als reiche seine Kraft, um bis zum Richterspruch zu prozessieren. Eindrucksvoll ist seine Fähigkeit, Witze zu erzählen. Einer der schwächeren ist z. B.: Zwei Natives geben sich Rauchzeichen übers Meer bis der eine schliesslich meldet: „Muss Schluss machen. Decke brennt.“

Carmanah Beach, das sind Grauwale, die die Bucht passieren, Luft holen und sanft wieder tief in den Pazifik abtauchen. Carmanah sind Seeadler, Seelöwen und Seehunde – und Molly und Bear, die Hunde. Carmanah Beach liegt weit weg von der Zivilisation, ist zu Fuss in zwei oder drei Tagen und mit dem Boot in einer guten Stunde erreichbar – wenn die Wellen nicht zu hoch gehen und der Wind günstig steht. Ansonsten dauert die Reise schnell drei, vier oder fünf Stunden. Carmaniah, das sind literweise Fett, Pilze und proteinreiche Eier-Frühstücke, das sind urtümliche Schönheit, Schwemmholz, Morgennebel, der schwer in den Bäumen hängt, Klippen, der nördliche Pazifik. Carmanah sind Hochdruck und bebendes Chaos, wenn Hiker am Ende des Strandbogens auftauchen, Carmanah ist auch Versinken in zäh fliessende Zeit und stille Trägheit, wenn sie wieder aufbrechen.

Man verkauft hier Frühstück, Fleisch- und Gemüseburger – herrlich schmeckende Geschmacksexplosionen aus Fett, Protein und Kohlenhydraten. Die Burger mit Käse, Speck und Pilzen sind legendär und scheinen fixer Bestandteil des West Coast Trails zu sein. Nur wenige Hiker wiederstehen der Versuchung und ziehen am Restaurant vorbei. Gut, vielleicht ist es auch nur die Aussicht auf einen herzhaften, frischen Bissen nach Tagen mit Tütensuppe und Trockenfleisch, die den Widerstand so zwecklos macht. Sicher ist: Nach sechs, sieben oder acht Stunden Kampf gegen den eigenen Schweinehund, gegen Hitze, Nässe, Kälte, Mücken, Hunger und Durst im Regenwald schmecken diese Burger nur noch paradiesisch.

Der Burger-Meister heisst Dan und ist ein etwas überdrehter Knapp-Fünfziger, der die Küche in Jogginghose und oft fettfleckigem T-Shirt zum Glühen bringt. Man darf Dan als ruppig bezeichnen, sein Humor ist derb. Er gleicht dem Strand: Schwemmholz und Plastik, keine rechten Winkel, keine saubere Massanfertigung, viel Sand, Staub, Fett. Klar, Kanada ist unordentlicher unterwegs als die Schweiz, Abfall und Schrott bleibt hier auch mal länger liegen. Das hier übliche Chaos wäre in der Schweiz mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmässiger Auslöser eines veritablen Nachbarschaftsstreits. Nicht anders ist es in dieser Bucht, von der man schon den amerikanischen Bundesstaat Washington sehen kann. Nur ein gutes Dutzend Seemeilen sind es bis dahin. Acht Herzinfarkte hat Dan überlebt. Heute trägt er Herzschrittmacher und Defibrilator in der Brust. „Lazy“ sei er, etwas faul, gibt Dan zu. Er schielt leicht und mag Männer. Das macht das Leben nicht unbedingt einfacher. In der Schwulenszene Vancouvers fühlt er sich nicht zu Hause. „Die laufen sechs Mal pro Woche zum Fitness. Als Übergewichtiger ist man in der Szene unten durch, auch, wenn du die falschen Kleider trägst.“ An seinem Geburtstag wird er sentimental, schenkt Wein aus und polnischen Likör, und erzählt, wie er den Dalai Lama getroffen habe, im Hotel, in dem er gearbeitet habe. Seine Präsenz habe ihn überwältigt, er sei nicht zu sprechen in der Lage gewesen.

Dan weiss, dass das Geschäft gut läuft. Wie viel seine Burger aber tatsächlich einbringen, weiss nur Monique, seine Mom. Die wolle, so Dan, die Zügel noch nicht aus der Hand geben. Monique, 76 Jahre alt, ist der Chef hier. Sie regiert manchmal mit eiserner Hand, viel öfter mit Herz und Verstand. Sie weiss immer etwas zu erzählen. Tatsächlich erzählt und erzählt und erzählt sie, während das Publikum sich permanent erneuert, hereinkommt, Burger isst, weiterwandert. Sie erzählt, wie sie und Peter, noch jung, vor der Küste angelten. „Plötzlich taucht ein Seehund vor unserem Boot auf und bellt. Normalerweise klauen diese Kerle den Fisch aus den Netzen, aber sie bellen nicht. Wir ziehen das Netz also so schnell wie möglich ins Boot. Wir staunen nicht schlecht: Es ist voll mit Fisch. Wir werfen das Netz neu aus. Bald taucht der Seehund wieder auf, bellt wieder. Kaum zu glauben: Das Netz ist erneut voll mit Fisch. Wir fangen an dem Tag 39 Fische und versorgen damit die ganze Verwandtschaft.“ Sie erzählt, dass es Peters Ahnen sind, die sie hier am Strand beschützen. Ihr Creek gehöre zu den wenigen, in denen in diesem ungewöhnlich trokenen Sommer noch Wasser fliesst. Die meisten seien staubtrocken. Sie erzählt vom toten Wal am Strand, den sie eines Morgens fanden. Schnell seien Meeresbiologen zur Stelle gewesen, die sezierten, analysierten. Man habe entschieden, den Kadaver zurück ins Meer zu schleppen, ihn aber angeleint, um später das Skelett in einem Museum ausstellen zu können. Ein schrecklicher Gedanke in der Vorstellung eines Natives, erzählt Monique: Die Seele eines Tieres gehe nach seinem Tod zum Ort seiner Geburt zurück. „Stell dir vor, was mit dieser Wal-Seele passiert – sie ist gefesselt und wird nie den Ort ihrer Bestimmung erreichen.“ Ihre Geschichten sind so legendär wie ihre Präsenz am Carmanah Beach: Ich sitze gerade beim Essen, als sie von einem jungen Amerikaner um ein Autogramm gebeten wird. Manchmal sind es die einfachen, aber herzlichen Leute, die Geschichte schreiben.

Published in Menschen Tiere

4 Comments

  1. Nicole Fürer

    Nicole Fürer

    Hallo André
    Super Blog und sehr interessant geschrieben. Finde es hervorragend, dass du so viele positive Ereignisse erleben darfst. Man sieht, dass es dir gut geht :-). Geniesse deine Zeit weiterhin.
    Gaaaanz liebe Grüsse
    Nicole

  2. Callegari Felix

    Callegari Felix

    Hallo André
    Supersache was du da alles erlebst. Hast du keine Angst vor den wilden Tieren die sich da im Wald aufhalten? Wenn man deinen Text liest, glaubt man daneben zu stehen und alles selber zu erleben. Wünsche dir noch weiterhin viel Spass beim Wandern und Entdecken.
    Gruss Felix und Familie

  3. Rolf Callegari

    Rolf Callegari

    Super Blogs, alles mit Genuss verschlungen, es scheint dir gut zu gehen, wo ist dein Bauch? hast sicher mächtig Körner nach diesem Trip, weiterhin alles Gute und Schöne, Geniesse es … Liebe Grüsse Trudi und Vater

  4. Weber Edith

    Weber Edith

    lieber André
    Wie lebendig und frisch Du erzählen kannst! Wunderbar! Du musst daheim angekommen ein Buch schreiben. Das liest sich dann wie Eiscrème im Sommer!
    Ich wünsche Dir weiterhin viel schöne interessante Begegnungen und viel Freude an diesem wunderbaren Lebensabschnitt! Herzlich Dein Gotti Edith und Familien

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