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Blanker Hass und drei denkbare Motive

Das Phänomen begegnet jedem Langdistanzradelnden in Nordamerika, Neuseeland und Australien früher oder später und es macht nachdenklich: blanker Hass. Hass ist heftige Abneigung, ist starke Ablehnung und Feindschaft gegenüber Personen, Gruppen oder Einrichtungen. In unserem Fall gegenüber einer Gruppe, den Radelnden. Verschiedene Motive sind denkbar.

Besonders im ländlichen USA, in Nordkalifornien und Nevada, ist dieses Phänomen nicht selten: Ein junger, männlicher Autofahrer, die Karre mattschwarz lackiert und stark verschmutzt, mit überdimensionierten Reifen und vermutlich weit mehr Bodenfreiheit als nötig, hupt oder schreit dich an, sobald er auf deiner Höhe ist. Das macht ihm Spass. Er ist die Verkörperung des American Dream, der auf Öl und Stahl und die Autoindustrie baut. Die letzte Freiheit des amerikanischen Mannes ist sein PS-starker Truck. Allerdings: Die Jungs sehen mitnommen aus. Oder abgehängt. Das trifft es besser. Sie leben in strukturschwachen Regionen, trinken, rauchen und finden schon, dass Frauen hinter den Herd und an die Krippe gehören. Sie sind auch davon überzeugt, dass eine ordentliche Tracht Prügel das eigene Argument wirkungsvoll unterstreicht. Besonders das schlechte. Das Veilchen und die aufgesprungene Lippe steckt die Alte schon weg. Hat eh nie richtig schick ausgesehen. Mir begegnet ein Radler, der aus dem Fenster eines Trucks als schwuler Sozialist beschimpft wurde. Da gibt es im konservativen Amerika wenig Luft nach oben: Unverhohlen schwul sein trifft das weisse, konservative Heile-Welt-Familienideal der 1950er-Jahre im Kern. Und Sozialisten, wie Obama, die man in den guten alten Tagen Nigger nannte und an Bäumen aufknüpfte, fordern heute Krankenversicherung für alle. Da können wir auch gleich den Kommunismus nach sowjetrussischem Vorbild einführen. Das Land geht zum Teufel. Darum: Let’s go to town, schwule Sozialisten erschrecken.

Ein anderes Phänomen sind LKW-Fahrer, die finden, Radelnde gehören auf den Seitenstreifen, den Kies, der ihm folgt, oder gleich mit zerschmettertem Schädel in den Graben. In Australien höre ich hinter mir ein Auto. Der Fahrer hupt. Ich bleibe auf der Fahrbahn, denn der Seitenstreifen ist Schrott – holprig, voller Kies, Scherben und Metallteile. Zudem sagt die australische Strassenverkehrsordnung, dass Fahrräder auf die Fahrbahn gehören und überholende Fahrzeuge ihnen mindestens einen Meter Abstand zu geben haben. Es hupt erneut. Der Fahrer schiesst schliesslich Zentimeter an mir vorbei und zieht gleich darauf scharf links auf den Seitenstreifen, wie um nochmals unzweifelhaft klar zu machen: Hierher gehörst du, du unverschämtes Arschloch! Ich sehe den Fahrer gestikulieren. Sieht nicht nach freundlichem Grüssen aus. Kiwi-Chauffeure sind in dieser Beziehung besonders übel: Holz- und Milch-Trucks rauschen an dir vorbei als gebe es kein Morgen. Ihre Fahrweise sagt: Ich gebe zu, ich bin nicht der hellste Stern am Himmel und arbeite auch mal im fleckigen Unterliibli, trotzdem habe ich mich nicht durch die verdammte Scheisstheorie geknüppelt, um dann die Strasse mit verfluchten Fahrrädern zu teilen!

Systemisch betrachtet ist das Problem dann vielleicht nur noch politisch. Ah, wie schrie doch Skin, Leadsängerin der Punkband Skunk Anansie in den Neunzigern, so rauh und eindringlich: Yes, it’s fucking political! Neuseeland und Australien haben keine Freeways ausschliesslich für motorisierte Fahrzeuge, die eine Mindestgeschwindigkeit von sagen wir 80 Kilometer pro Stunde erreichen können. Und keine Autobahn, weil man sich gerne grün gibt, ist einfach nicht die beste Lösung für ein Erste-Welt-Land. Die Differenz zwischen 110 (im Outback der australischen Northern Territories gibt es überhaupt kein Tempolimit) und 15 Kilometern pro Stunde birgt grenzenloses Gefahrenpotenzial. Das kann nicht gut gehen! In Kanada, Neuseeland und Australien liegen also vielleicht schlicht und einfach verkehrspolitische Hausaufgaben auf der langen Bank. Die Anzahl Fahrzeuge in Neuseeland verdoppelte sich beispielsweise, während sich das Strassennetz kaum veränderte. Brücken, und davon gibt es unzählige, sind immer noch meistens einspurig. Das muss alle, die beruflich auf der Strasse sind, mit betörender Regelmässigkeit in den Wahnsinn treiben. Den Rest der Mobilisierten auch. Gibt es Radwege, sind sie so schlecht gebaut, dass man sie nur noch im ganz ernsten Notfall wählt. Nutze ich einen davon, wünsche ich mir immer nur eins: Liebe Beamtinnen und Beamte, die ihr Radwege baut, radelt doch selbst einen Tag lang auf euren Resultaten. Würde eure Lösungen sehr schnell sehr viel ausgefeilter machen. Denn gut gemeint war noch nie richtig gut gemacht.

Published in Menschen

2 Comments

  1. enz thomas

    enz thomas

    André! to get you even more frustrated: YOU’RE TOO LATE FOR THE SCHüüRFEST at Sandy and Vanni! 😉
    cheers and have a bottle of red!

  2. Weber Edith

    Weber Edith

    lieber André

    wenn jemand lebenslang einen Brummi voller Kiwi fährt und lebenslang auf der gleichen eintönigen langweiligen Strasse Kiwis führt, so erschrickt er vielleicht, wenn plötzlich ein Fahrrad vor ihm auftaucht.
    Das ist eine Situation, die noch nie so war und verlangt ihm einiges ab…! Da kann er auch nur den einen Satz formulieren, den er halt sein Leben lang sagt….fuck nomol!

    Pass gut auf Dich auf! Gell!!?!!
    liäbs Grüässli
    Edith

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