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Schrei bei Bären, mach dich gross bei Berglöwen!

Auf einen Kaffee am Lake Cowichan, wo nur die Log Trucks richtig Wind machen und die Überlebensregeln simpel sind: Schrei bei Bären, mach dich gross bei Berglöwen.

„Zwei Dinge musst du dir merken: Begegnest du einem Bären, schrei. Begegnest du einem Berglöwen, dann mach dich so gross, wie du kannst“, erklärt mir Steve. Und schiebt nach: „Allerdings ist eigentlich schon alles zu spät, wenn du einen Berglöwen siehst.“ Wir sitzen im Imbiss am Lake Cowichan, die Mittagshitze hat sich verzogen, das Licht ist weich. Steve ist ein echter Brocken, wohl um die 200 kg schwer, und scheint auf den ersten Blick sehr träge. Sprechend aber zeigt er eine federleichte, wendige Seite. Er spricht wieselflink, geistig ist er ebenso fit, wie er es körperlich nicht ist. Der Imbiss ist ein alter Campervan hinter einem schäbigen Holzverschlag. Zwei, drei Schilder, die für Burger und Hot Dogs werben. Aufgemalt, offensichtlich von Hand und ohne Werbebudget. Ich frage nach Kaffee, man meint „help yourself“ und deutet auf den Pott Filterkaffee. Wir kommen wir ins Gespräch. Ja, ich bin aus der Schweiz, und ja, ich bin hier auf Durchreise. Alles andere wäre für Steve mehr als unverständlich. Lake Cowichan als Endziel für einen Reisenden aus der Schweiz? Nicht nachvollziehbar. Hier, wo nur die Log Trucks wirklich Wind machen. Mächtige LKWs, die sich sonor brummend ankündigen, immer lauter dröhnen und dann an dir vorbeistürmen wie Tornados. Sie bringen den Highway zum Vibrieren, blasen Radfahrer von sich weg, nur um sie gleich danach wieder an sich heranzusaugen. Log Trucks seien die Könige der Highways, heisst es. Und Könige verhandeln nur mit ihresgleichen.

Mit uns sitzt eine Frau am Tisch. Nennen wir sie Peggy. Sie ist spindeldürr, ihr fehlen die unteren Schneidezähne, sie lacht rauh und raucht Kette. Heute schläft das Kaff. Man wartet auf Freitag, dann wird der Teufel los sein, sagt man, weil halb Kanada zur Gordon Bay am Lake Cowichan fahren wird. In Pick-up-Trucks, die immer grösser sind, als alles, was man in Europa kennt. Mit Campervans und Monster-Grills und Mückennetzen, unter denen locker drei Grossfamilien Platz fürs Barbeque finden. Dann steppt hier der Bär, man wird Hot Dogs und Burgers raushauen und endlich etwas Cash machen. In einer Gegend wie dieser kein einfacher Job. Peggys Mann hat sich gerade den linken Zeigefinger zerquetscht und fällt für Wochen aus. Er arbeitet im Sägewerk, wie alle hier verdient er sein Geld in der Holzindustrie. Wenn es hier oben etwas reichlich hat, dann ist es Holz. Sein Zeigefinger sei zwischen zwei Holzblöcke geraten, dabei brauche er doch beide für die Arbeit mit dem Holzroboter, für die Joysticks, mit denen er ihn lenkt.

Steve war schon in der Schweiz, erzählt er. Er habe Freunde da. Er lacht: „Ich finde es immer köstlich, wenn die ‚Basel‘ sagen – klingt immer nach ‚Boosell‘“. Anderen wären solche Feinheiten in der Fremdsprache nicht aufgefallen, Steve offenbar schon. Er findet, Schweizer seien unglaublich ordentlich. Kein Wunder, sei die Schweiz so sauber und aufgeräumt. Der Durchschnittskanadier setzt den Vergleich locker in den Sand. Überall liegt Schrott. Als mir auf dem Weg zum Lake Cowichan das Wasser ausgeht, bitte ich einen Kanadier darum, der auf dem Vorplatz an seinem Rasenmäher herumschraubt. „Go to the kitchen, take it from the sink“, winkt er mich Richtung Haus. Es scheint ihm egal, wie es dort gerade aussieht – und Mann, da sieht es aus! Vielleicht steckt im Kanadier immer noch eine gehörige Portion Pionierblut: Zu gross das Land, zu wild – und zu klein der Mensch, um hier wirklich Ordnung zu schaffen. Warum also überhaupt damit beginnen?

Published in Menschen Tiere

One Comment

  1. Ralph Greber

    Ralph Greber

    Hello André

    Also ich hätte dir ja geraten, falls dir ein Bär oder ein Berglöwe begegnet, dich laut schreiend auf dein Rad zu schwingen und dich möglichst klein zu machen (w/Luftwiderstand), während du so schnell davon radelst, dass die sich höchstens verdutzt mit der Pfote am Kopf kratzen können und sich ein anderes „Fresschen“ suchen.
    Obwohl, an dir ist ja einiges dran, da könnte sich eine kleine Verfolgungsjagd schon lohnen, he he.

    Okay, man sieht, dass du schon tüchtig ein Paar Pfunde abgestrampelt hast!!!

    Liebe Grüsse
    Ralph

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