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Wir sind Superstars!

Wir Long-Distance-Bikerinnen und -Biker beeindrucken unser Umfeld. Meist ohne das zu wollen. Offenbar verkörpern wir eine Form des Reisens, die viele bewundern und nur wenige auf den Asphalt bringen. Darum sind wir Superstars, die letzten Heldinnen und Helden des Westens.

Wir sind Superstars. Da besteht kein Zweifel. Man kreischt aus Autos „you‘re awsome“, beschenkt und bewirtet uns, lauscht andächtig unseren Erzählungen, bekennt „ich wäre gerne wie du“ und ist ganz verzückt, wenn wir dann abwinken „ah, halb so wild, du könntest das auch“. Man steckt uns Telefonnummern zu und Adressen und bietet Bett und Frühstück, sollten wir in der Gegend sein. Man erkennt uns am beachtlichen Gepäck, ans Rad gezurrt oder im Hänger verstaut. Wir sind die Elite des Westens, die letzten Helden der Landstrasse. Wir schlagen alles und alle um Längen. Wer wir sind? Wir sind die Long-Distance-Bikerinnen und -Biker!

Klappe, die erste: Kanada. Ich radle von Pemberton nach Whistler. Es geht, leck mich, bergauf, die Sonne brennt mir auf den Pelz, die Landschaft taugt wenig zur Motivation, fader Fels, fader Wald. Ich höre das vertraute, feine Surren hinter mir. Ah, es ist wieder soweit. Wieder fällt der Hammer. Und tatsächlich: Zwei Radfahrer fliegen an mir vorbei (uphill!!), kein Gepäck, kein Schnickschnack, federleicht, Karbonrahmen. Die Schwerkraft gibt Forfait. Das frustriert. Normalerweise, aber nicht dieses Mal. Dieses Mal dreht sich einer der beiden um, lacht und schreit zurück: „You‘re tough, man!“. Der Schalter kippt in einen neuen Modus. Ich bin ein Superstar!

Klappe, die zweite: Ich rolle zum Hiker/Biker-Campground am Umpqua Lighthouse, bin müde, stelle mein Zelt auf und will zur Dusche. „Where are you headed to“, fragt eine Stimme aus dem Busch. Ich schaue genau hin. Da sitzt ein älterer Mann, wohl mit seiner Frau, am Feuer, vor seinem Wohnmobil. „Mexiko, vermutlich“, antworte ich. „Where did you start?“ „Vancouver. Did some of BC.“ „Wow, that’s awsome!“ Wir wechseln ein paar Worte. Danny und Sophie laden mich zum Barbeque ein. Es gibt Bier, frisch aus dem Kühler. Luxus pur. Wo ich morgen hinwolle? „Bullards Beach.“ „Wollen wir auch hin. Du kannst wieder mit uns essen, wenn du möchstest.“ Der nächste Abend: Ich bezahle meine Nacht am Eingang des Campgrounds. Schwinge mich wieder aufs Rad, will mein Zelt aufschlagen. Danny sieht mich von weitem, mir scheint, er habe auf mich gewartet. „Here is your beer!“ Kein Zweifel – Superstar.

Klappe, die dritte: Ich parke mein Rad am Visitor Center von Point Reyes, nördlich von San Francisco. Scanne die Karte nach dem schnellsten Weg zum Hostel. Plötzlich höre ich: „Wo solls hingehen?“ Ich drehe mich um, sehe einen bärtigen Frühsechziger, verschwitzt, Funktionsshirt, Shorts, Wanderstiefel. Offensichtlich hat er einen der vielen Trails hier hinter sich. „Mexico“, antworte ich. Er glüht. „Wow. Wo hast du begonnen?“ Ich antworte: „Vancouver. Machte ein bisschen BC, jetzt die Westküste.“ „Grossartig. Wollte ich immer schon.“ Ich hole Kaffee, setze mich neben mein Rad. Der Mann setzt neu an: „Ich hab mir dein Bike angeschaut. Echt stark! Felgen- statt Scheibenbremsen! Hydraulisch?“ „Mhm. Greifen ganz gut, fast besser noch als Scheiben.“ „Darf ich mal?“ „Sicher!“ Der Mann langt nach den Bremshebeln, greift vorsichtig zu, nickt anerkennend: „Wow, die sind klasse, vielen Dank.“ „Natürlich“, denke ich, „Superstars reiten nur klasse Material“.

Eigentlich ist alles ganz anders. Eigentlich sind wir das Ergebnis eines langen Prozesses. Die Leidenschaft fürs Rad macht den Anfang. Jene fürs Reisen wird ihre Komplizin. Zusammen verführen sie uns. Wir haben keine Chance. Wir fixen kleine Touren. Schielen nach grösseren. Wagen endlich die ganz grosse. Wir leiden. Wir prügeln uns mit Schmerz, Müdigkeit und stündlichen Wellen der Frustration. Wir streiten mit dem Gedanken, doch eine Karre zu kaufen, Ford Pick-up vielleicht, besser noch den 66er-Mustang, er darf auch 14 Liter bechern, alles besser als diese Schinderei. Nur: Da ist dieser verdammte, kleine Funke, vermutlich reiner Stolz, vielleicht die Ahnung eines neuen Körperzustandes. Er lässt dich weiterbeissen, weiterkurbeln, weiterleiden. Bis du die Mauer durchbrichst, die das Radnoviziat vom Radnirvana trennt. Bis der Schmerz nachlässt und Bewegung zur Sensation wird, die mühelos Meile um Meile generiert. Festungen fallen, eine nach der anderen: Vancouver, Seattle, San Francisco. Das strahlt aus, das macht Eindruck, das macht aus Alltagsradlerinnen und Altagsradlern … Superstars!

Published in Menschen Reiseroute

One Comment

  1. Ralph

    Ralph

    Hello Suuupppperstaaaar!!!

    Es hat vermutlich schon was, wenn man einem Pickup hinterher hechelt und dabei gierig die Luft zwischen seinen Abgasdämpfen einsaugt, während einem die jungen Leute auf der Ladefläche mit einem Bier frenetisch zujubeln und dabei die strammen Wadenmuskeln bewundern. Da wird doch gleich noch ein Gang höher geschaltet…

    Wie gerne würde ich da mitreden können – obwohl – ein ähnliches Erlebnis habe ich auch jeden Tag. Wenn ich nämlich am Morgen früh mit der VBSG zur Arbeit fahre und dabei ganz hinten den Hochsitz erklimme (hey, zwei Stufen) und dabei mit meinem bald 52 Jahren noch wie ein Jungspund hochkomme – also – wenn ich dann die bewundernden Blicke der weit unter mir sitzenden Fahrgäste auffange, dies törnt einem schon irgendwie an, Superstar-pur-Gefühl eben.

    Nachdem ich jetzt, emotional gesehen, mit dir auf gleicher Augenhöhe bin, kann ich mir lebhaft vorstellen, wie es sich anfühlen muss, dem Trail der alten Cowboys folgend, sein Stahlross mit eiserner Hand dem Sonnenuntergang entgegen zu lenken.

    Vielen Dank, dass ich mich jetzt auch wie ein Hero fühlen darf, jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit, um das zu tun, was ein Mann tun muss.

    Greetings
    Ralph

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