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Haleakala, das Haus der Sonne

Der höchste Punkt auf Maui ist die Spitze des schlafenden Vulkans Haleakala. Sie ist Ziel vieler Bikerinnen und Biker, sie lassen sich in Bussen hinaufbringen, um dann die 35 Meilen Abfahrt zu geniessen. Nur wenige steigen mit dem Rad auf. Lance Armstrong tat es. Ich auch.

Das Abenteuer beginnt im Kopf. Blogs berichten, Hunderte würden sich, Mietbike inklusive, zum Kraterrand des Haleakala auf der hawaiianischen Insel Maui transportieren lassen, um sich danach die 35 Meilen lange Downhillstrecke zurück ans Meer zu geben. Nicht ganz ungefährlich übrigens, wie mir hier Ansässige berichten. Immer wieder komme es zu Unfällen, auch tödliche habe man verzeichnen müssen. Nur wenige nähmen den mühevollen Aufstieg auf 10‘000 Fuss, das sind 3048 Meter, per Rad auf sich. Steigungen von zehn Prozent seien zu bewältigen. Ein Blog berichtet, der Vulkan habe selbst dem (ok, gedopt, aber trotzdem …) Tour-de-France-Gewinner Lance Armstrong ein „Man, that’s steep!“ abgerungen. Ich denke noch nach, ob ich mir den Haleakala, dieses Haus der Sonne, antun soll. Nicht doch lieber die moderaten Küstenstrassen, die Road to Hana zum Beispiel, pittoresk, vielversprechend, eines der wichtigsten Ziele für Reisende auf Maui? Allerdings: Mich sticht noch immer die kleine Pleite von Yosemite – von wo aus ich den Tioga-Pass Richtung Death Valley hätte queren wollen, der mich ebenfalls auf 10‘000 Fuss gebracht hätte. Er war wegen Schneefalls zehn Tage zuvor für den Winter dicht gemacht worden. Diese Marke doch noch zu knacken und dazu auf einer Strecke, die einen Top-Kurbler zum Brüten bringt, das macht schon spitz.

Ich trete also dem Schweinehund mit Anlauf in den Arsch und schwinge mich aufs Rad. Es ist neun Uhr. Life is an adventure und ich bin unbesiegbar. Es ist neun Uhr zwanzig. Heya, doch noch recht warm und der Verkehr ist auch nicht ohne. LKWs krachen vorbei, Abgas mischt sich mit der schwül-heissen Luft. Neun Uhr dreissig. Leck mich. Die Sonne beisst sich in meinem Gesicht fest, Gegenwind fängt mich alle paar Meter gnadenlos ab. Poren brechen wie Dämme. Schweiss marschiert straks an den Armen herunter und macht die Griffe seifig. Er läuft den Rücken hinab zu Stellen, an denen die Sonne nicht scheint. Radfahren auf Hawaii – doch nicht die beste Idee?

Eines habe ich auf meiner Tour gelernt: Wenn gar nichts mehr geht, geht Pause. Also erst mal Lunch. Bananen, Schokomilch, Früchtekuchen – Sugar Rush and Coffee, funktioniert fast immer, der Push ist einmalig und Gold wert. Nach zwei Stunden beginnen hohe Wolken die Sonne auszusperren. Zeit für eine neue Attacke. Es klappt, die Kraft ist wieder mit mir, ich arbeite mich mit konstanter Performance die Serpentinen hoch. Es riecht nach Sellerie. Die Besiedlung wird dünner, es folgt Weideland, dann wird die Landschaft richtig karg. Ich steige in eine dicke Wolkendecke hinein und werde etwas über eine Stunde brauchen, um sie oben wieder zu durchstossen. Sie umschlingt den Haleakala wie ein Kragen. Viel wichtiger aber: Sie kühlt. Das Kurbeln wird leicht, ich halte mühelos eine gute Geschwindigkeit. Ein erstes Glücksmoment: Die Nebeldecke zerreisst und gibt kleine Fetzen des Himmels frei. Dann das grosse Glück: Radfahren über den Wolken, bei untergehender Sonne. Aussichten wie aus dem Bildband, alle paar Minuten entfährt mir ein neues „Du heilig‘s Blechle“.

Ich übernachte auf knapp 7000 Fuss. Die Nacht ist klar, der Himmel voller Sterne. Um halb Sieben packe ich meinen Kram zusammen. Es ist noch dunkel. Eine Karawane von PKWs zieht schon den Berg hoch, Sonnenaufgang am Kraterrand sei eines der Must-sees von Maui. Die Autokolonne skizziert die Strecke, die ich gleich selbst hochsteigen werde. Ich greife an, anfangs sachte, um die Muskeln warm zu bekommen. Der Verkehr lässt nach, ich habe viel Platz und Luft, ich höre nichts als das Rollen der Räder auf dem Asphalt und meinen Atem. Es wird heller. Ich werde es, so viel ist sicher, nicht zum Sonnenaufgang schaffen. Weiter nicht schlimm, denn es ist die Marke, die mich lockt. Nach dreieinhalb Stunden und Pausen in immer kürzer werdenden Abständen ist es soweit. Ich bin groggy, aber die 10‘000 Fuss sind im Sack. Rückblickend wird klar: Es ist weniger die 10-Prozent-Steigung, die dich weich klopft. Ich habe in Kanada Strecken mit 18 Prozent gemeistert. Es ist vielmehr die Konstanz der Steigung, die dich madig macht. Die Strecke erlaubt dir kein Verschnaufen. Keine kurzen Abstiege, keine flachen Passagen, die es dir erlauben, Druck zurückzunehmen. Du bleibst stehen, sobald du das tust. Hart auch, dass, verglichen mit dem Aufstieg, der Abstieg eine Sache von einer guten dreiviertel Stunde ist. Zwar bringst du während dieses rasanten Plauschs das Grinsen nicht aus der Fresse, im Verhältnis zum betriebenen Aufwand ist der Ertrag aber wirklich fast schon lächerlich. Würde ich es trotzdem nochmals machen? Jepp. Jemand sagte mal, das einzig Schlechte am Langdistanz-Radfahren sei, dass es süchtig mache. Das hat was. Und Radfahren auf Hawaii? Eine meiner besten Ideen überhaupt!

Published in Reiseroute

2 Comments

  1. Jrène

    Jrène

    Mensch, André,
    jetzt glaubte ich, dass wir ungefähr zeitgleich in den Ferien sind…., du am Strand von Hawaii und ich im Wellness-Liegestuhl im Südtirol. Stattdessen chrampfst du dich (mit natürlichen Muntermacher) hoch bis du groggy bist, um danach weitere 600 Kurven und 59 Brücken zu durchfahren (wiederum sind Vitamine dein Doping) und findest es auch noch die beste Idee überhaupt.

    Für einen kurzen Moment fühle ich mich nun grad ziemlich schlecht!, denn auch ich hätte die Möglichkeit von ganztägigem Fitness Angebot oder Tageswanderungen gehabt und habe lediglich das Schwimmen, vor dem leckeren und auch sehr Vitamin beladenen Frühstücksbüfett, (das Wasser war herrliche 31 Grad!!) genutzt… aber weisst du was: man ist wohl nur einmal im Leben auf Hawaii und du hast das Schönste gesehen und erst noch aus eigener Kraftanstrengung! Ich ziehe den Hut!

    Liebste Grüsse
    Jrène

  2. Weber Edith

    Weber Edith

    WOWOWOWOW! Aber hallo! Das sind ja Bilder erster Güte, liebe André!
    Ich gratuliere Die zu der Überwindung deines inneren Schweinehundes, denn dieses Erlebnis ist einzigartig und die Aussicht einfach überwältigend!
    GOOOSSARTIG!!!
    Viel Spass weiterhin auf Hawaii und alles Gute
    liebe Grüsse
    Edith und family

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