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Potemkin auf der Rafter 25 Ranch

Man liest in den Medien, dass WWOOFing von Hosts missbraucht wird. Missbrauch geschieht übrigens auch durch WWOOFer, die nach dem Minimumprinzip arbeiten. Das macht jenen auf Seiten der Hosts nicht besser. Ein kleiner Report von der Rafter 25 Ranch.

Jede gute Idee wird früher oder später pervertiert. Auch WWOOFen hat seine Unschuld verloren – auf beiden Seiten des Deals, nota bene. Mir begegneten WWOOFer, die lediglich günstig übernachten und möglichst kostenlos verpflegt werden wollten. Nach dem Minimalprinzip agierend – wie erreiche ich ein festes Ziel (guten Schlaf und einen vollen Bauch) mit möglichst wenig Aufwand –, machen sie gute Hosts über kurz oder lang madig, in dem sie permanent im Grenzland navigieren: Wie wenig kann ich leisten, um gerade noch in den Genuss der gewünschten Leistungen zu kommen? Ein Host erzählte, wie zwei WWOOFerinnen den Auftrag bekamen Nanaimo Bars (eine Süssigkeit aus Vancouver Island) für seine Gäste zu verpacken. Statt sie zu verpacken, spachtelten die beiden die ganze Schachtel selbst und waren für die darauf folgende Kritik alles andere als empfänglich. Das war nicht, was er sich unter einer Win-win-Situation vorgestellt hatte und auch das Gründergrüppchen von WWOOF dürfte eine andere Idealkooperation vor Augen gehabt haben.

Wenn WWOOFer die Idee pervertieren, macht das den Missbrauch auf Seiten der Hosts nicht besser. Einen der derben Sorte kann man in Redstone erleben. Da farmert ein Schweizer Ehepaar und verspricht Arbeit mit Rindern, man habe mehrere Hundert auf der Farm, das Konzept nenne sich From Pasture to Plate – von der Weide auf den Teller –, man produziere streng nach Demeter-Standards.

Lust auf WWOOFing bei Jasmin bekommen? Dann mal ganz langsam mit den jungen Pferden. Remember Potemkin? Russischer Fürst, Dorffassaden zum Schein, um die Misere zu verbergen? Willkommen zu einer Lektion Marketing für Dummies. Dass hier Potemkin seine Finger im Spiel hat, merkt der WWOOFer nach ein paar Stunden auf der Farm, denn die Realität schreit dir ganz andere Geschichten ins Ohr:

Die Verpflegung: Zähe, fette Lammrippchen, trockenes Siedfleisch, kauresistente Würste, überladene Pizza mit verkohltem Rand (Originalton Jasmin: „Die sind nicht verbrannt, die sind knusprig.“). Lebte auf Rafter 25 ein knallharter, knochenkonsequenter Selbstversorger, der ein angefahrenes, altes Schaf schlachten musste und nun das beste daraus machen will – ok, dann wäre das ein angemessenes Essen. Mehr ist bei dem einfach nicht zu erwarten. Anders in einem Betrieb, der sich höchste Fleischqualität auf die Fahnen geschrieben hat und in der Gastronomie (eigenes Restaurant Kinikinik) Geld verdienen möchte. Jasmin, wo waren die Steaks, die Filetstücke? Wenigstens einmal? Nein, ich hätte keinen Bedarf, für solches Essen Geld zu bezahlen. Was niemand weiss: Kommt ja auch nicht von einem Koch, das Essen, kommt ja von Jasmin. Und die ist … ja, was ist sie eigentlich, ausser verhinderte Lehrerin?

Die Arbeit: Beeren pflücken. Jäten. Jäten. Jäten. Rasen mähen. Rasen mähen. Jäten. Jäten. Garten wässern. Jäten. Hühner füttern. Jäten. Jäten. Jäten. Wespennest mit tumber Chemie kaputtspritzen (uh, prickelnde, aber wohl nicht Demeter-konforme Abwechslung). Jäten. Rasen mähen. Jäten. Jäten. Hunde füttern. Hühner füttern. Jäten. Jäten. Rasen mähen. Jäten. Jäten. Quintessenz: Auf Biobetrieben ist mit Jätarbeiten zu rechnen wie mit Schnee auf dem Kilimandscharo. Dann aber bitte ums Gemüsebeet, das der Host für seine (nachhaltige) Selbstversorgung benötigt oder dessen Erträge zum Lebensunterhalt beitragen. Hier auf Rafter 25 pflegen WWOOFer das Blumenbeet der Misses. Oder die Umgebung des Restaurants. So spart man den Gärtner und macht den WWOOFer zum Bock – oder so ähnlich. Ich plädiere für Videos mit verschwitzten WWOOFern in staubigen Kleidern, die das Blumenbeet der Misses jäten.

Der Führungsstil: Die Misses führt mit Tricks und Misstrauen. Der Stil ist weit verbreitet, das macht ihn nicht eleganter. Jasmin überwacht mit Videokameras ihre Mitarbeitenden, nicht nur im Verkaufsladen in Vancouver, sondern auch gleich über die Strasse, in der Schlachterei. Originalton Jasmin: „Es ist so schwierig, hier gute Leute zu finden.“ Ich bin sicher, Jasmin, das Finden ist nicht dein Problem, sondern das Halten. Wer nichts gibt, bekommt auch nichts. Wie hiess noch gleich die Führungsregel: Spätestens nach fünf Jahren hat jede Führungskraft genau die Leute, die sie verdient. Stimmt auch in deinem Fall, Jasmin.

Die Wirtschaftlichkeit: Jasmin und Felix bauen gerade eine neue Scheune, nachdem sie ein neues Restaurant gebaut haben, das noch meilenweit entfernt ist von einem nur kostendeckenden Betrieb. Wenn über neun, zehn Stunden sechs Personen ins Restaurant reinstolpern und Kaffee trinken, spricht man von einem geschäftigen Tag. Kommt eine Bestellung mit mehr als vier Essen in die Küche, flattert bei Misses, sie macht den Küchentiger gleich selbst, das Nervenkostümchen. Nope, das Restaurant läuft nicht. Also schnell eine neue Scheune, ein neues Geschäftsfeld. Potemkin zimmert daraus dann das Bild einer innovativen Unternehmung. Braver Potemkin. Böse Zungen behaupten, würde nicht ein Geldstrom aus der Schweiz nach Redstone fliessen (der Papa von der Misses war dick drin in der Messtechnik), hätte das Plunderpärchen den Laden schon mindestens drei Mal gegen die Wand gefahren. Böse Zungen behaupten auch, dass das Restaurant nur gebaut wurde, damit Misses eine grössere Küche bekommt. Kocht da nämlich fast ausschliesslich für den eigenen Bedarf. Merkt nur irgendwie keiner.

Das Menschenbild: Die Mitarbeitenden feiern ein kleines Fest. Einer hat Geburtstag, es tanzt der Bär. Man vergisst, Misses und Felix auf die Einladungsliste zu setzen. Was Misses am nächsten Morgen schwer bemängelt. Warum man sie nicht eingeladen habe? Schliesslich füttere sie alle die ganze Zeit durch. Ich entgegne, dafür bekomme sie auch Arbeitsleistung. Von den WWOOFern übrigens eine, die fast immer über die vorgesehenen vier bis sechs Stunden hinausgeht. Misses schaut verdutzt. Etwas rattert in ihrem Köpfchen, man kann die Murmeln kullern hören. Begriffen, Jasmin, nein? Soll ichs zeichnen?

Potemkin ist eine coole Sau. Sein Ansatz funktioniert auch blendend. Nur nicht langfristig. Langfristig bricht dir ein Phänomen das Genick, das man Credibility Gap nennt. Die Spanne zwischen dem propagierten Bild und der alltäglichen Realität. Ist sie zu gross, hauts dich früher oder später auf den Latz. Irgend ein Medienfuzzi, Linker oder Nonprofitler stolpert immer über dich, wenn du gerade Fassaden zimmerst. Das wird in Redstone nicht gleich geschehen, weil Geldstrom aus der Schweiz etc. Ein Gap lässt sich mit Geld stopfen. Sieht dann aus wie erfolgreiches Business, ist aber letztlich nur ein Hochofen, der Geld verbrennt. Ich schlage vor: Dreht ein Video. Lasst die Misses eigenen Text sprechen. In ihrem Anfänger-Englisch (dreissig Jahre Kanada!). Zeigt die Pizza, das Siedfleisch, das Chaos in der Küche. Zeigt die Misses, wenn sie am Rad dreht, weil sie von Mitarbeitenden, die sie ausgetrickst hat, ausgetrickst wird. Ergäbe eines mit Wirkung. Ganz ohne Potemkin. Ich schlage auch vor: Misses, engagiere keine WWOOFer mehr. WWOOFing bekommt durch Hosts wie dich ein intensives Geschmäcklein. Bezahle einen Gärtner, die Kröten dafür tauchen auf, sobald du für einmal nicht in ein erfolgloses neues Geschäftsfeld einsteigst. Deal?

Published in Menschen Was ist WWOOF?

7 Comments

  1. Barbara

    Barbara

    Liebe gebrannte WWOOFer der 25 Rafter Ranch – wo sind eure Kommentare auf WWOOF.CA? Würden alle, die den Horror auf der Ranch miterleben durften/mussten ihre Erfahrungen auf der WWOOF Seite teilen und die Ranch bei WWOOF melden, würden die wohl endlich mal keine Gratis Sklavenarbeiter mehr bekommen…

  2. Gebrannter Woofer

    Gebrannter Woofer

    Ich kann mich dem Erlebnisbericht „Potemkin auf der Rafter 25 Ranch“ nur anschliessen! Echt auf den Punkt getroffen und einige „Erfahrungen“ könnte ich noch nachliefern. Wir haben einen Monat auf Schmalspur-Kost bei Knochenarbeit überlebt, weil uns gutmütige Nachbarn das aller nötigste und einiges mehr heimlich zusteckten!!! Seit ich das diese „Demeter“-Farm verliess sind von den Mitarbeitern und Familienmitgliedern der Redstone-Besitzer bzw. des Bewirtschafter-Ehepaares alle in irgendeiner Art gekündigt, rausgebosst und sonstwie fortgeekelt worden. U.a. zwei gute, erfahrende Schlachtermeister, dazu alle Personen, die in diesem Betrieb wirklich gearbeitet und sich (vergeblich) investiert haben. Eigentlich sollte man diese Ranch für WWoofing auf eine SCHWARZE LISTE setzen. Was da abging und abgeht schadet der Kanadischen Gastfreundschaft und gibt ein äusserst schlechtes Bild für Kanada-Schweizer ab! Es spricht sich allmählich rum.

  3. claire

    claire

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  4. Man ich hatte gerade meinen Lachanfall des Jahres. So geil, wenn man von anderen liesst, was man während 4 Wochen selber in Redstone mitspielen durfte. Schon nur der Übernahme Misses :) Köstlich!! Super beschrieben!

  5. Barbara

    Barbara

    Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen! Hättest du diesen Bericht bloss ein paar Wochen früher geschrieben… Wäre mir sehr viel Ärger und ein verdorbener Magen erspart geblieben… Ja ich durfte genau die gleichen Erfahrungen machen… Leider… Hoffe bloss dass die Misses irgendwann mal keine WWOOFer mehr als Sklaven missbrauchen kann/darf…

  6. Peter

    Peter

    Ein „Genuss“ zum lesen. Danke

  7. Marcel

    Marcel

    fantastisch geschrieben.
    @Misses Jasmin: read and learn! Diese Unternehmensanalyse ist priceless 😉

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