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What a Ride! Von Lillooet nach Whistler

Eine der eindrücklichsten Reiserouten von Vancouver in den Norden von British Columbia führt über Whistler und Pemberton nach Lillooet. Allerdings ist sie für Radfahrende nicht gratis zu haben und auch hier können sich die Wheels of Fortune drehen, können sich gute in schlechte Situationen wenden und vice versa.

Reiseführer beschreiben sie als die schönste Route ab Vancouver in den Norden von British Columbia. Bis Pemberton trägt sie den Namen Sea to Sky Highway, es geht vom Meer in den Himmel. Von Pemberton nach Lillooet heisst sie Duffey Lake Road. Meine Route führt insgesamt von Williams Lake nach Vancouver, das sind knapp 600 Kilometer. Sie fordert Ausdauer, Schweiss und Schmerzen. Ich fluche oft. Dafür erlebe ich hier, wie sonst kaum, Peak Experiences, gewinne dramatische Perspektien in diese einmalige Landschaft und immer wieder Wetterphänomene, die mich nicht kalt lassen.

Alles beginnt in Lillooet. Der Himmel ist bewölkt, es soll aber trocken bleiben. Zumindest für heute. Ich hänge die Ortlieb-Packtaschen-Familie an mein Rad. Ein Kanadier, klein und rund, rüstet seine Harley für den Tag. Woher ich komme? Wohin es gehe? Oh, Whistler – das sei ein starkes Stück. Hart, aber „extremely rewarding“, extrem lohnend. Er habe die Strecke, jünger und fitter damals, selbst zwei Mal mit dem Rad gemacht. Also machbar das Ganze. Ich steige aufs Rad, kurble los, rechts und links gehen die Berge hoch. Kurz nach dem Ortsausgang knüppelt mich die erste Steigung. „Jetzt hat es dich“, denke ich, trete weiter, Meter für Meter für Meter. Das zweite Mal überhaupt auf der Tour schiebe ich mein Rad. Ich schwitze, die Sonne brennt. Ich weiss, mir bleibt jederzeit Daumen raus, das wäre einfach, zerstörte aber den vom Harley-Mann in Aussicht gestellten Reward. Also beissen, beissen, beissen. Zwei Stunden fast permanent im kleinsten Gang. Das macht die Birne madig. Ich greife nach jedem guten Gedanken. Und beisse, beisse, beisse.

Ein weisser Wagen stoppt weit vor mir. Ein Mädchen steigt aus. Shirt, Shorts, Sneakers. Engel. Es gibt sie also doch! Oder schlicht Sauerstoffmangel? Ich komme näher. Sie ist real. Sie öffnet den Kofferraum, holt etwas heraus, steht still. Ich bin fast bei ihr. Sie will die Strasse queren, ich deute an: Bleib da, ich komme zu dir. Sie lacht. Sie hat schöne Augen. Sie trägt keinen BH. Es sind die kleinen Dinge, die zählen. Das sei awesome, was ich tue. Ob ich echt die ganze Strecke mit dem Rad mache? Ob ich genug Wasser habe? Sie habe genug da, ich könne noch eine Flasche haben. Ob mir schon mal jemand gesagt habe, dass ich crazy sei, so im ganz positiven Sinn? Mhm, das sagen mir die Leute hier dauernd. Das junge Ding hat es drauf. Die Motivation sitzt. Meine Beine brennen, das Leben ist schön.

Nahe am Gipfel. Rechts wird Duffey Lake sichtbar. Endorphine strömen. Der Himmel ist blau und weiss und generiert einen Hauch von Schneeregen. Wie im Traum kurble ich den See entlang. Das Panorama nimmt mir den Atem. Ich stehe alleine auf der Strasse, es ist ganz still, ich lege mein Rad auf den Boden, schicke einen Schrei in die Bergwände hinein. Sie schicken das Echo vielfach zurück. Ich habe es geschafft. Das ist der Reward, die Belohnung. Sie ist tatsächlich extremely, besonders. Schnell aber dreht die Situation, die Wheels of Fortune stehen eben nie still. Das Wetter schlägt um. Wolken verdunkeln den Himmel. Es schüttet eiskalten Regen. Mein Tagesziel ist unerreichbar, der Notausstieg heisst Joffre Lakes Provinicial Park. Ich erreiche ihn spät, 300 Meter über mir setzt es Schnee an, die Gipfel sind weiss. Ich schlage mein Zelt auf. Der Wald tropft, meine Finger sind starr vor Kälte. Ich lege mich ins Zelt, neben dem Klo hier der einzig halbwegs trockene Ort. An Kochen nicht zu denken. Ich verschlinge einen halben Sack Nüsse und verkrieche mich in den Schlafsack. Die Nacht wird kalt und nass, die Temperaturen liegen um den Gefrierpunkt. Ich bewege mich konstant in der Zone zwischen Schlaf und Wachzustand. Mir ist nicht wirklich kalt, warm aber auch nicht. Kondenswasser tropft. Die Zeit steht still. Ich rieche nach Sonnencreme – nach Kokos und Vanille. Muss lecker riechen für Bären. Egal jetzt. Wie sagte jemand in der Schweiz: Wie episch, von einem Bären getötet zu werden.

Der nächste Morgen. Ich trinke Kaffee vor dem Grocery Store des Lil‘-Wat-Reservats. Ich sitze auf der Stossstange am Heck eines Trucks, die Sonne scheint. Ich bin in Gedanken, der Kaffee baut Wirkung auf. „Was sitzst du auf meinem Truck?“ dröhnt eine aggressive Stimme aus dem Nichts. Ich erschrecke, drehe mich nach ihr um. Ein bulliger junger Native baut sich vor mir auf. Er ist böse angespannt, ich rechne mit dem Schlimmsten. Ich entschuldige mich, sorry, das sei ein Fehler gewesen. Er lässt nicht locker. Er fragt: „What do you do here anyway, fucking idiot! Sitting on my fucking truck!“ Die Luft brennt, mir schiessen Fetzen aus der Lektüre von Anti-Aggressionsmethoden durch den Kopf. Ich entschuldige mich nochmals. Sorry, ich hätte schlicht nicht nachgedacht, wie dumm von mir. Ein schlimmer Fehler, der mir wirklich leid tue. Immer noch ist alles möglich. Ich spüre, wie es den Burschen hin- und herreisst. Endlich lässt er ab, steigt in den Truck, flucht, meint zu seinem Fahrer: „What a fucking idiot, sitting on my truck!“ Sie geben Gas, verlangsamen, geben wieder Gas und verschwinden endlich.

Published in Menschen Reiseroute

3 Comments

  1. Shari Suter

    Shari Suter

    Hey Andre! You are a giant! Du hast es geschafft!

    We miss you and wish you all the best as you continue on your fabulous journey.

    Shari

  2. thomas enz

    thomas enz

    André! B R A L E S S !!! der native nannte dich einen idioten, weîl du dich vom engel nicht einladen lassen hast… 😉
    es ist schön immer wieder von dir zu hören. keep on rolling, flatless.

  3. Irene

    Irene

    Lieber André
    lass mich an deinen letzten Satz folgendes anhängen: bitte gib weiter so fantastisch Gas mit deinen Erlebnis-Geschichten für uns und verschwinde nie aus deinem Blog (falls dir noch mehr Engel begegnen sollten)!
    Ein weiteres Mal mit-leiden, freuen, lachen, fürchten und das Alles mit einer nach empfundenen Vanille-Kokos-Note…., der heutige verregnete, kühle Sonntag in St. Gallen, zaubert ein Lächeln in mein Gesicht, wobei ich am Anfang deines heutigen Beitrages angelangt bin: strahle in die Kamera und mein Genuss mit dir weiter zu radeln ist perfekt.
    Machs Guet und Danke!
    Jrène

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