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Musik im Kopf und Ohren, die bluten

Die Psychologie nennt es Stuck Song Syndrome. Das Phänomen ist nicht pathologisch, kann aber trotzdem nerven. Ich erlebe es, wenn ich auf dem Rad bin, täglich. Manchmal bluten mir davon die inneren Ohren. Ohne Scheiss.

Das Phänomen wird mir bewusst, während ich mir den Hollywood-Film Wild mit Reese Witherspoon anschaue. Immer wieder wird Filmmusik eingespielt, allerdings ist der Ton seltsam abgedämpft, als läge Fell auf den Lautsprechern. Hintergrund: Witherspoon mimt eine junge Frau, die sich auf dem Pacific Crest Trail, einem Weitwanderweg (4286 km, von der mexikanischen an die kanadische Grenze), mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt. Halbbewusste Bewegungen über einen längeren Zeitraum (Radfahren oder eben Wandern) scheinen das Auftauchen dieser Musik im Kopf zu fördern. Die Texte der auftauchenden Songs korrelieren manchmal mit der aktuellen Situation, manchmal nicht. Die Psychologie beschäftigt sich seit wenigen Jahren mit dem Phänomen. Sie nennt es Musical Imagery Repetition, Involuntary Musical Imagery oder Stuck Song Syndrome. Musik, die mir jüngst im Kopf auftauchte, ist zum Beispiel:

29 Ways, Marc Cohn: I got 29 ways to make it to my baby’s door. I got 29 ways to make it to my baby’s door. And if she needs me bad, I can find about two or three more. Ich beginne die Liste mit dem schlechtesten Beispiel, mag sein, denn hier hängt das Ganze wohl weniger am Text als am Beat des Songs. Taucht nämlich hochfrequent dann auf, wenn es rasant talwärts geht. Das rockt, wat‘n Spass!

Hit the Road, Ray Charles: Hit the road, Jack. And don’t you come back no more, no more, no more, no more. Hit the road, Jack. And don’t you come back no more. Taucht gerne morgens auf den ersten Metern auf oder wenn eine neue Tour beginnt. Hat (hoffentlich mehrheitlich) mit den Wünschen der Menschen, die ich verlasse, nichts zu tun.

Free Falling, Tom Petty: I wanna glide down over Mulholland. I wanna write her name in the sky. I wanna free fall out into nothin‘. Gonna leave this world for awhile. Taucht auf, wenn ich Zelte abbreche, neu gewonnene Freunde verlasse, den Kopf freimache für neue Abenteuer, neue Regionen oder neue Routen. Herrlich!

Nutbush City Limits, Tina Turner: Twenty-five was the speed limit. Motorcycle not allowed in it. You go t’the store on Friday. You go to church on Sundays. They call it Nutbush, oh Nutbush. Said they call it Nutbush city limits. Nutbush city. Taucht gerne auf, wenn Geschwindigkeitsbegrenzungen von 25 (ok, auch für mich noch machbar), 60 (leckt mich, nur noch für semi-suizidale Biker machbar) oder 100 km/h (fickt euch, ich reite mein Biiiike, keinen Truuuuck!) angezeigt werden.

Don’t touch this, MC Hammer: Can’t touch this. Can’t touch this. Can’t touch this. (Oh-oh oh oh oh-oh-oh). Can’t touch this. (Oh-oh oh oh oh-oh-oh). Ich habe nach wie vor nicht die geringste Ahnung, warum dieser Song immer mal wieder hochkommt. Beim Griff nach der Vorderradbremse, wenn ich auf Kies talwärts rausche? Beim Griff in den Schritt, wenn’s vom Kurbeln in allen Farben glüht?

Während die Songs zu Beginn noch mit Text und manchmal Instrumentalpassagen ins Bewusstsein gespült werden, schrumpfen sie nach und nach zu banalen Loops aus Grundtönen, ähnlich jenen, die der Bass in einem Stück spielt, also etwa so: doingdadoingdadingdingdong, doingdadoingdadingdingdong. Richtig übel wird’s, wenn nur noch Tonika, Subdominante und Dominante im Trettakt rotieren, also doingdingdong, doingdingdong. Diese dumbe Phase wird nur noch übertroffen von Songs, die so stupide sind, dass einem die inneren Ohren zu bluten beginnen. In Wild trifft Witherspoon auf ein Trio junger Männer, von denen sich einer den Spass macht, den anderen einen neuen, üblen Earworm in den Kopf zu pflanzen. Er summt den Song. Die Kumpels wehren sich heftig. Drohen, ihn zu verklopfen. Er stoppt, dann singt er ihn, laut schreiend, während er sich lachend aus dem Staub macht. Üble Würmer dieser Art tauchten auch bei mir auf. Einer davon war besonders fies:

Katzenklo, Helge Schneider: Katzenklo, Katzenklo. Ja das macht die Katze froh. Katzenklo, Katzenklo. Macht die Katze froh. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Der Schaden ist angerichtet, die Ohren bluten. Dammit, Helge!

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3 Comments

  1. Jrène Greber

    Jrène Greber

    Wow, André, was so alles in deiner Abenteuer Reise inbegriffen ist…; die blutenden Ohren hätte ich erst erwartet, wenn du dem Highway entlang fährst und dir Michael Jackson’s „Thriller“ oder „Beat it“ begegnet. Dann sofort bremsen, absteigen und mit tanzen, das vertreibt nicht nur die gruseligen, bösen Gestalten, sondern stoppt dann vielleicht auch den Blutfluss…(:
    Aber eines ist für mich klar, wenn immer Musik in einem ertönt, dann ist das einfach schön und ab und zu sogar schauderlich-schön.
    Gruss
    Jrène

  2. Corinne

    Corinne

    Hey André

    Do chömed mir nume zwei Sache in Sinn:
    Üse Chüähli-Song 🐄 und natürli di altbewährti Biene Maya 🐝

    Wiiterhin viel Spass…

  3. Weber Edith

    Weber Edith

    lieber André

    Du brauchst keinen teuren Seminarkurs wie“Die Kunst sich selbst auszuhalten“ oder „der Weg nach der inneren Freiheit“! hihi…. Du schaffst es alleine!

    Solange Musik im Ohr ertönt, finde ich es doch ganz angenehm. Ein Zeichen von Aufgeräumtheit, Frohnatur – das verschüttete ICH vielleicht!?!

    Beim letzten Blog war ich ganz eingeschüchtert. Mann – solch wilde Kerle!
    Deshalb freue ich mich über diesen Eintrag.

    ich wünsche Dir weiterhin viel Freude und gute Begegnungen mit allerlei Kreaturen dieser Erde!

    Pass gut auf Dich auf!
    Herzliche Grüsse aus dem bald herbstlichen Thurgau
    Edith

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