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Justine – danach alles ist anders

Unterwegs zu sein mit wenig Gepäck, im Zelt, mit einem simplen Kocher, lässt kulturelle Errungenschaften – ein Tisch, ein Stuhl, ein Mahl – zumindest zeitweise auf der Strecke bleiben. Ausser, man reist in weiblicher Begleitung. Ich radle fünf Tage mit Justine. Danach ist alles anders.

Der Nachmittag fliesst zäh in Wellington. Ich warte auf die Fähre nach Picton, das Tor zur Südinsel. Zwei Hände voll Langstreckenradelnde finden sich nach und nach am Terminal ein. Wir diskutieren gefahrene Reiserouten, Gewicht des Gepäcks und die Vor- und Nachteile des Schwalbe Marathon. Zeugs halt, über das man sich als Langdistanzlerin oder Langdistanzler unterhält. Dann kommt Justine. Jung, hübsch, etwas kühl. Ich spreche sie an, wir diskutieren … über gefahrene Reiserouten, Gewicht und – nein, nicht den Marathon, sondern, wohin es uns auf der Südinsel zieht. Unsere Planung zeigt Gemeinsamkeiten. Wir entscheiden uns, ein paar Tage zusammen zu radeln. Es werden fünf, danach ist alles anders.

Mit Justine kommt Kultur zurück in mein Leben. Reichte bis dahin ein trockenes Plätzchen im Eingang zum Supermarkt als Location für ein Mittagessen zwischen dem Kurbeln, zeigt Justine: Es geht auch unterwegs gepflegt. Ein Rastplatz mit Tisch und Bank und Aussicht macht doch viel mehr her. Dafür radelt frau und dann eben auch man lustvoll den Extrakilometer. Oh, Essen ist ein gutes Stichwort: Justine mag Obst und Gemüse. Cookies mag sie auch. Aber sie sagt, sie habe ein Bäuchlein angesetzt, darum verzichtet sie meistens, wenn ich in die Vollen gehe. Ass ich jeweils Nudelsuppe, Käse, Brot, vielleicht mal eine Banane oder Avocado, ist ihr Menü die Manifestion der Ernährungspyramide. Viel von dem, was gesund ist für den Homo Sapiens, wenig von dem, was ihm schadet. Während der fünf Tage und darüber hinaus kaufe ich immer auch eine Salatgurke oder Tomate oder Gemüsezwiebel. Meine Verpflegung wird ausgewogen, vitamin- und ballaststoffreich. Frauen waren schon immer und werden es immer sein: der Hammer!

Essen und Schlafen gehen Hand in Hand. Da laufen dann archaische Prozesse ab. Wir suchen einen Schlafplatz. Ich finde, gleich hier hätten unsere Zelte doch bestens Platz. Trocken, flach, gut. Lass krachen. Justine findet, ah, da unten am See wäre es doch noch schöner. Immer wieder während unserer gemeinsamen Kurbelei liefere ich Spot um Spot. Justine findet ein paar davon gut, rümpft aber auch ein paar Mal deutlich die Nase. Gibt es nicht eine Vogelart, bei dem das Männchen Material zum Nestbau oder was auch immer anschleppt und es vom Weibchen begutachten und oft für schlecht befinden lässt? Sind wir nicht alle seltsame Vögel? So oder so: Die Schlafplätze, die wir in den fünf Tagen gemeinsam aufreissen, gehören zu den ganz Grossen meiner Reise. Frauen waren schon immer und werden es immer sein: der Hammer!

Auch auf dem Rad zeigt sich ein Clash der Kulturen. Justine ist Sprinterin. Ich bin Langdistanzler. Sie macht nach 60 Kilometern den Laden dicht und nimmt sich Zeit fürs Zelten, Kochen, Körperpflegen. Ich gehe da gerne nochmals in die Vollen und mache den Sack am liebsten erst nach 70, 80, 90 Kilometern zu. Da reicht es dann nur noch zum erstbesten Schlafplatz im Busch, zu Chicken-Noodle-Suppe und Katzenwäsche mit drei Dezilitern Wasser aus dem Trinkbidon. Wenn Justine aber sprintet, fliegen die Fetzen. Weil sie eine Kassette dreht, die für richtig steile Passagen wenig hergibt, drückt sie uphill für meinen Geschmack unanständig feiste Gänge, die sie schnell wie eine Gazelle den Berg hochschiessen. Nach jeder Steigung leckt mein Ego weinerlich neue Wunden. Noch Tage, nachdem ich von Justine Abschied genommen habe, schalte ich unbewusst übertrieben fette Gänge. Bis meine Knie mit einem seidenfeinen Zwicken melden, dass die Schmerzgrenze dann erreicht wäre. Stolz ist ein eigentümliches Gefühl. Der verletzte ist besonders eigentümlich. Das ändert nichts an der Tatsache: Frauen waren schon immer und werden es immer sein: der Hammer!

Published in Menschen

3 Comments

  1. Nadine

    Nadine

    Hey André
    Mit viel Begeisterung habe ich deine spannenden und wirklich lebhaften Geschichten verfolgt. Jetzt bis du im Frodo-Land und begegnest Morton, Alphonse, Todd und Justine, von denen du das eine oder andere (wie komme ich an Schnürsenkel?) lernen konntest. Viel Spass bei deinen weiteren Erfahrungen und viel „Chörnli“ für die Reise dahin!
    Liebe Grüsse
    Nadine

  2. thomas enz

    thomas enz

    André! „justine ou les malheurs de la vertu“ par marquis de sade! eine ode.
    geniesse!

  3. Jrène

    Jrène

    Eine Hymne auf die Frau(en), wie schön, Danke André!

    Liebe Grüsse
    Jrène

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